Viele Anwender betrachten Linux aus einer Windows-Perspektive und kritisieren abweichendes Verhalten des Systems als fehlerhafte Umsetzung. Dieser Ansatz ist genauso unsinnig wie der umgekehrte, also Windows durch die Linux-Brille zu bewerten – die Systeme sind grundverschieden, und keines der beiden hat das Ziel, dem anderen ähnlich zu sein. Das ändert aber nichts daran, dass Benutzer sich oft das Beste aus beiden Welten wünschen, egal, ob sie nun unter Windows oder Linux arbeiten. In diesem Artikel beschreiben wir, was Vista schon an Neuerungen zu bieten hat und was noch fehlt – dann zeigen wir auch, wie Sie diese Features nachrüsten.
Die auffälligsten Änderungen betreffen den Desktop – neben einem neuen Standard-Theme (das sich bei Missfallen auch wieder auf die Windows-2000-Optik zurückstellen lässt) gibt es hier einige neue Funktionen:
Mehrere Desktops erleichtern Linux-Anwendern die Arbeit, denn die Programmfenster müssen sich nicht eine einzige Oberfläche teilen. Bei ganz alten Linux-Systemen hieß das "virtueller Desktop", KDE und Gnome sprechen nur noch von Desktops (oder deutsch Arbeitsflächen).
Windows hat dieses Feature auch in seiner neusten Version Vista noch nicht, aber es ist schnell nachgerüstet: Dazu laden Sie den VirtuaWin-Installer von [1] herunter oder greifen zur Heft-DVD. Das Programm haben die Entwickler unter die GPL gestellt – die Lizenz, die auch für die meisten Linux-Anwendungen und den Linux-Kern selbst gilt.
Läuft das Programm, erscheint in der Startleiste am rechten Rand ein neues Symbol in Form von einem weißen und drei grünen Quadraten, welche die vier Desktops symbolisieren (Abbildung 2) – per Klick auf eines der Quadrate wechseln Sie auf die zugehörige Arbeitsfläche. Da es umständlich ist, die kleinen Felder mit der Maus genau zu treffen, gibt es auch Tastenkombinationen: [Windows] zusammen mit einer der vier Cursortasten springt zu benachbarten Desktops.
Einige Anwendungen sind Windows-Klassiker, weil sie über Jahre mit jeder Version ausgeliefert wurden. Bei manchen dieser Tools ändert sich nichts, so sieht zum Beispiel das Malprogramm Paint noch genauso wie vor zehn Jahren aus. Andere Programme haben mehr Änderungen erfahren, das gilt besonders für den Internet Explorer. Microsoft hat ja vergleichsweise spät angefangen, sich für das Internet zu interessieren; hat es mit dem Explorer aber geschafft, den viel älteren Browser Netscape (heute Mozilla, Firefox) auf dem Windows-Desktop zu überholen. Vista enthält die neue Version 7.0 (die es aber auch für XP gibt) – sie bietet einige nützliche neue Features:
Etwas ungewohnt: Die klassische Menüleiste gibt es zwar, aber der Internet Explorer versteckt sie standardmäßig, erst ein Druck auf [Alt] bringt sie ans Tageslicht. (Das gilt auch für den Dateimanager Explorer.)
Übrigens: Wer statt des Internet Explorers Firefox als Standardbrowser einstellt, wird nicht weiter bedrängt – im Startmenü ruft ein Klick auf den prominent platzierten Eintrag Internet fortan den freien Browser auf.
Komfortabel ist der Media Player, der nicht nur die lokale MP3-Kollektion verwaltet, sondern auch via Drag & Drop elegant Daten auf externe Player überträgt. Leider beherrscht er noch immer nicht das patentfreie Ogg-Vorbis-Format, das sich zumindest in der Linux-Welt als Alternative zu MP3 etabliert hat. Doch das ist schnell nachgerüstet: Nach dem Herunterladen der Datei oggcodecs_0.71.0946.exe
vom Entwickler Illiminable [3] führen Sie das Programm aus. Gleich nach Abschluss der Codec-Installation beherrscht der Media Player auch das Ogg-Format. Das gilt allerdings nur für die Musik selbst, die enthaltenen ID3-Informationen wertet das Programm nicht aus, so dass bei Ogg-Dateien (wie bei Wav-Dateien) nur der Dateiname erscheint.
Der Dateimanager Explorer zeigt nur noch in seltenen Fällen klassische Pfade à la c:\Dokumente und Einstellungen\Benutzer\
an, sondern versieht die Ordner mit sprechenden Namen ohne volle Pfade oder Laufwerksbuchstaben. Zusätzlich erscheinen dort die meisten Begriffe in lokalisierten Varianten, also etwa Programme
, obwohl das damit angesprochene Verzeichnis C:\Program Files\
heißt. Für Computer-Einsteiger ist das sicher eine Erleichterung; wer aber parallel auf der Shell in die (dort nicht lokalisierten) Verzeichnisse wechseln will, muss einen zusätzlichen Übersetzungsschritt einlegen.
Im Vergleich mit KDEs Multitalent Konqueror ist der Explorer auch unter Vista kein großer Wurf. Viele Drittanbieter empfehlen darum ihre eigenen Dateimanager als Explorer-Ersatz, so z. B. File Commander [4] und Free Commander [5].
Aktuelle Linux-Versionen bringen den neuen NTFS-Treiber ntfs-3g mit, der den Lese- und Schreibzugriff auf Windows-NTFS-Partitionen erlaubt; wo die entsprechenden Module fehlen, sind sie schnell nachgerüstet. Anders herum ist Windows immer noch blind für fremde Betriebssysteme: Linux-Partitionen, egal mit welchem Dateisystem sie formatiert wurden, erscheinen in der Datenträgerverwaltung als unbekannte Systeme (Abbildung 4), und ein Zugriff auf die dort gespeicherten Daten ist nur durch die Nachinstallation externer Software möglich.
Das Tool Ext2IFS [2] ist ein Freeware-IFS-Treiber und eigentlich nur für Windows 2000 und XP gedacht – im Test verweigerte es auch zunächst die Zusammenarbeit: Der Installer brach mit dem Hinweis auf eine nicht unterstützte Windows-Version ab. Über die Kompatibilitätseinstellungen – Rechtsklick auf das Programm-Icon, Eigenschaften und dann auf dem Reiter Kompatibilität die Option Programm im Kompatibilitätsmodus ausführen für Windows XP (Service Pack 2) – startet der Installer. Vista-typisch müssen Sie den Vorgang bestätigen, aber schließlich erscheint die Installationsroutine.
Bei der Frage, ob Sie das Large File Feature aktivieren wollen, können Sie meist unbeschwert mit "Ja" antworten, nur Linux-Kernel mit Version 2.2.x und älter kommen nicht mit dieser Ext2-Funktion klar, die es erlaubt, Dateien zu erzeugen, die größer als 4 GByte sind. Der wichtigste Punkt bei der Installation ist die Vergabe von Laufwerksbuchstaben für die verschiedenen Linux-Partitionen. Die Linux-typischen Gerätebezeichnungen ( /dev/hda5
etc.) zeigt der Installer nicht an, sie müssen also aus Reihenfolge und Größe der Partitionen zunächst erraten, welche Dateisysteme Sie hier einbinden. Im Zweifelsfall vergeben Sie einfach für jede Linux-Partition einen Buchstaben: Klicken Sie das Drop-down-Menü einer Partition an und wählen Sie einen der noch nicht vergebenen Laufwerksbuchstaben aus.
Nach der Einrichtung von Ext2ifs ist ein Neustart des Rechners fällig, denn den IFS-Treiber lädt das System beim Start. Danach zeigt ein Blick auf den virtuellen Ordner Computer im Explorer, dass Windows jetzt die Linux-Partitionen sieht (Abbildung 5): Im Zugriff gibt es nun keinen Unterschied mehr zwischen NTFS- und Ext2-Partitionen.
Auch wenn Ext2ifs für den Ext2-Zugriff entwickelt wurde, kommt es genau so gut mit Ext3-Partitionen klar – das liegt einfach daran, dass Ext3 (im Wesentlichen) nur eine um Journaling erweiterte Version von Ext2 ist. Mit ReiserFS-Partitionen kann der Treiber hingegen nichts anfangen: Leider erkennt die Installationsroutine nicht selbständig den Dateisystemtyp, bietet also auch bei ReiserFS-Partitionen (die genau wie Ext2-/Ext3-Partitionen auf der Festplatte als Typ "Linux" gekennzeichnet sind) die Vergabe eines Buchstabens an. Greifen Sie auf eine solche Partition später zu, schlägt Windows vor, sie zu formatieren.
Um Windows-Rechner ins Linux-Netz zu integrieren, war schon immer der Einsatz eines Samba-Servers nötig – daran ändert sich auch beim Umstieg auf Windows Vista nichts, denn ein Client für das Einbinden von NFS-Freigaben ist nicht Teil des Vista-Pakets. Über die Netzwerkfreigaben eines Samba-Servers, die Sie erreichen, indem Sie die IP-Adresse des Linux-PCs mit vorangestelltem doppelten Backslash (also z. B. \\192.168.1.2) in ein Explorer-Fenster eingeben, können Sie den Zugriff auf Linux-Drucker und die Home-Verzeichnisse einrichten.
Einen Dienst für Remote-Zugriff über die Shell, wie es unter Linux der SSH-Server ist, liefert Vista nicht mit. Wer das benötigt, installiert einen freien SSH-Server nach, zum Beispiel den FreeSSH-Daemon [6].
Neu im Angebot sind Links: Das Shell-Kommando mklink
erzeugt wahlweise symbolische Links (wie ln -s
) oder über den Parameter /h
(hidden) harte Links (wie ln
). Wer das neue Kommando einsetzen will, sollte drei Punkte beachten, in denen sich mklink
und ln
unterscheiden:
mklink Ziel Quelle
.ln
standardmäßig Hardlinks und nur mit der Zusatzoption -s
Symlinks erzeugt, ist es bei mklink
umgekehrt.mklink
akzeptiert aber nur einen Ordner als Argument, wenn Sie es mit der Option /D
(directory) aufrufen.
Ganz überzeugt von dem neuen Feature sind die Entwickler wohl nicht gewesen, denn das dir
-Kommando in der Shell und der Explorer zeigen Symlinks zwar korrekt an (Abbildung 7), doch es ist ein Abenteuer, neue Links anzulegen: Ohne Administratorrechte läuft da gar nichts, Microsoft betrachtet dies offenbar als privilegierte Aktion, und auch aus einem mit Root-Rechten gestarteten Explorer heraus gelingt über den Kontextmenüpunkt Verknüpfung erstellen
einer Datei nur ein Link, der auf dem Desktop liegt. Leider sind die neuen Windows-Symlinks zudem nicht mit den Symlinks kompatibel, die Sie über die Cygwin-Tools [7] anlegen können.
Von der Symlink-Behandlung abgesehen hat sich in der Windows-Shell nicht viel geändert – die Zukunft gehört eh der neuen PowerShell [8,9], die mit dem alten Command.com
-Nachfolger nichts mehr gemein hat. Freunde der Linux-Shell Bash sollten die bereits erwähnten Cygwin-Tools nachinstallieren. Geht es stattdessen um einige der populären Shell-Tools, ist auch ein Blick auf die GNU Utilities for Windows [10] interessant: Dieses Paket enthält u. a. grep
, find
, sed
, tar
, grip
, bzip2
und less
. Für Suchaufgaben, die unter Linux locate
bewältigt, ist Locate32 [11] ein Ersatz, allerdings ist das ein GUI- und kein Shell-Programm.
Die alte Streitfrage, ob Linux oder Windows das bessere Betriebssystem ist, lässt sich nur individuell beantworten, weil für jeden Anwender unterschiedliche Eigenschaften wichtig sind – daran ändert auch das Erscheinen von Vista nichts. Eines der Kriterien ist der persönliche Geschmack: Wer die in Vista umgesetzten Bedienkonzepte gut gelungen findet, muss nicht nachbessern. Ist die Bewertung nicht ganz so positiv, dann helfen die in diesem Artikel vorgestellten Tools, Teile der Linux-Funktionalität auf den Vista-Desktop herüberzuholen.
Glossar
RSS
Rich Site Summary (RSS) ist ein XML-Dateiformat, mit dem u. a. News-Portale und Blogs ihre neuesten Beiträge ankündigen. RSS-Reader, teils auch als Teil eines Webbrowsers, abonnieren so genannte RSS-Feeds, die dann die Titelzeile und eine Kurzbeschreibung enthalten – der Klick auf einen Link führt zum Volltext auf der Webseite.
IFS
Ein Installable Filesystem (IFS) ist ein Dateisystemtreiber für Windows, der es erlaubt, entsprechend formatierte Datenträger einzubinden und mit einem Laufwerksbuchstaben zu versehen.
NFS
Das Network Filesystem (NFS) ist das Standardsystem für Verzeichnisfreigaben in der Linux-/Unix-Welt, vergleichbar mit SMB/CIFS in der Windows-Welt, aber dazu nicht kompatibel.
[1] VirtuaWin: http://virtuawin.sourceforge.net/
[2] Ext2ifs: http://www.fs-driver.org/
[3] Ogg-Vorbis-Codecs: http://www.illiminable.com/ogg/
[4] File Commander: http://www.godlikesoft.de/html/products_overview.html
[5] Free Commander: http://www.freecommander.com/de/fc_shots_de.htm
[6] freeSSHd: http://www.freesshd.com/
[7] Cygwin-Tools: http://www.cygwin.com/
[8] PowerShell: http://www.microsoft.com/germany/technet/scriptcenter/hubs/msh.mspx
[9] PowerShell-Artikel: Marcus Nasarek, "Die Kraft der Muschel", LinuxUser 04/2007, S. 46 f.
[10] Windows-Ports der GNU-Tools: http://unxutils.sourceforge.net/
[11] Locate32 für Windows: http://www.uku.fi/~jmhuttun/